
Frau Ramsauer, Sie waren schon in vielen Krisengebieten auf der Welt. Wie nehmen Sie die aktuelle Kriegsberichterstattung aus der Ukraine wahr?
Man spürt eine totale Professionalität in der Berichterstattung. Das merkt man vor allem am sogenannten "Stringer Fixer". Das sind Menschen, mit denen man vor Ort arbeitet. Das sind einfach hochprofessionelle Journalisten.
Welche Veränderungen in der Berichterstattung ergeben sich durch die sozialen Medien? Heute kann so gut wie jeder in die Rolle eines Reporters schlüpfen.
Das ist für die Leser und Leserinnen wahnsinnig verwirrend. Wenn ich eine Geschichte lese, dann weil sie mir zum Beispiel in meinem Newsfeed bei Facebook, Instagram, Twitter angezeigt wurde. Ich gehe nicht in die Trafik und kaufe meine Zeitung. Sondern ich kriege ein Menü, das von einem Algorithmus gesteuert wird. Andererseits kann ich aber auch – das tun viele - Freestyle reingehen. Dann ist es schwierig zu unterscheiden: Was ist denn jetzt eigentlich Journalismus der klassischen Schule? Und was ist von jemanden, der in die Ukraine fährt und ein Blog dazu macht?
Ist es ein Problem, dass Bilder auf Social Media ungefiltert veröffentlicht werden?
Ganz objektiv betrachtet ist es eine große Veränderung. Wir hatten immer die Devise, keine Toten zu zeigen, also nur unter ganz spezifischen Bedingungen. Aber in den Sozialen Medien wird es konsumiert. Warum sollen wir uns auch noch zurückhalten? Hier gibt es eine neue Diskussion und wir sehen ja auch, dass viel mehr brutale Bilder auch in Medien gedruckt und nicht nur in Newsfeeds veröffentlicht werden. Also tut sich sehr wohl was. Ich werde momentan stark von Schulen angefragt. Weil die Rückmeldung des pädagogischen Personals an die Landesschulräte teilweise ist: "Wir kriegen es nicht hin. Die Kinder sind überfordert mit dem Medienkonsum. Wie gehen wir als Pädagogen damit um?" Wir sehen, dass Medienerziehung benötigt wird.
Laufen wir Gefahr, dass die Menschen durch diese Flut an Bildern irgendwann Kriege und Gewalt aus Selbstschutz völlig ausblenden?
Ich glaube, das passiert bereits. Da spielt die Klimaberichterstattung eine wichtige Rolle. Es scheint ein dramatisches Gefühl zu entstehen, so als wäre schon alles zu spät. Man will gar nicht mehr handeln, weil man sich so überfordert fühlt: Die Welt retten wir eh nicht mehr. Ich denke aber, die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Allerdings sollte man so berichten, dass man es annehmen kann. Momentan ist es schon ein kruder Mix – Angst vor Putin, Angst vor der Klimakrise, es kommt sowieso zum Atomkrieg. Da ist ein gefährlicher Cocktail entstanden.
Sie haben 2020 Ihren Beruf als Kriegsreporterin aufgegeben. Sind die Bilder des Krieges auf Dauer nicht zu verkraften?
Nein, die sind schon zu verkraften. Die Beweggründe waren, dass die Rahmenbedingungen für jegliche ausführliche Auslandsberichterstattung in Österreich sehr schwierig sind. Ich hatte mit dem mir zur Verfügung stehenden Budget einfach nicht das Gefühl, die Geschichten in der Intensität und Breite recherchieren zu können, wie ich es gerne möchte. Zweitens ist Krisen- und Kriegsberichterstattung körperlich wahnsinnig anstrengend. Es kommt vor, dass man halt mal nichts zu Essen oder Trinken bekommt, dass man zwölf Stunden in einem schlechten Auto fahren oder am Boden schlafen muss. Es ist auch anstrengend, Schutzausrüstung zu tragen. Mir macht auch die Hitze sehr zu schaffen.
Sie machen gerade eine Ausbildung zur Traumatherapeutin. Bräuchte es Präventionskonzepte für Kinder, Jugendliche aber auch ältere Menschen, die beispielsweise den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, um diesen Krieg in der Ukraine zu verarbeiten?
Ja, das braucht es unbedingt, vor allem, wenn eine leichte Demenz hinzukommt. Also meine Mutter zum Beispiel ist momentan wahnsinnig in Angst, wenn sie bedenkt, dass sie flüchten müsste, aber dies mit dem Rollator nicht so schnell könnte. Was es bräuchte, ist mehr Wissen und Aufklärung über die Traumatisierung selbst. Wie gehe ich damit um, was tut sich in meiner Seele? Was ist Trauma, wieso traumatisiert mich etwas? Was bedeutet es, eine Traumadiagnose zu haben? Wir verwenden den Begriff Trauma unsauber und zu häufig. Es gibt Faktoren, die entscheidend sind. Und wenn man über diese Bescheid weiß, kann man viel tun.
Redaktion: Sabine Kaloczi, Petra Milosavljevic und Henry Dünser
Kategorie: Interview
Datum: 23.4.2022
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